Die Welt und dazwischen der Fußball

DeutschlandIn Israel wird geschossen.
Die deutsche Nationalmannschaft hat gegen Brasilien gespielt und 7:1 gewonnen. Dabei regnete es bei uns. Die Kameras fingen Brasilianer ein, die weinten. Pockenviren werden in einer Abstellkammer entdeckt. Nachrichten, wie so viele jeden Tag. Ich schnappe sie überall auf. Die Welt ist schnell bei mir zu Hause. Ob ich will oder nicht. Manchmal zerreißt mich diese Flut. Es passiert so viel jeden Tag. Und ich bin ganz nah dran.
Noch tobt der Fußball. Selbst als Uninteressierter kommt man nicht daran vorbei, erfährt Spielpaarungen, Spielausgänge, wer wo wann ein Tor geschossen hat und welche Schiedsrichter Fehlentscheidungen getroffen haben. In Bars und Kneipen und draußen wird auf große Leinwände übertragen. Das Wetter dazwischen bleibt bescheiden. Hupende Autokorsos zeigen an, dass Deutschland eine Partie gewonnen hat. Den Brasilianern fehlt ein wichtiger Spieler. Der wurde übelst gefoult, in den Rücken getreten, als ginge es um Kampfsport. Der Schiedsrichter unternahm nichts. Wir wussten alle sofort Bescheid. Auch wenn es uns nicht interessierte, auch wenn wir keine Ahnung davon haben. Nachrichten verfolgen uns, laufen uns nach. Morgen ist wieder etwas anderes.
Heute sind wir vernetzt. Wir leben nicht mehr nur in einer Welt, sondern in realen, virtuellen und manch einer in seiner ganz persönlichen irgendwo abgekapselt. Oft vermischt sich das.
Früher erreichte mich nicht so viel, heute kann ich aktuelle Meldungen aus der ganzen Welt und zu jedem Thema überall und jederzeit abrufen, die Technik macht es möglich. Ein Telefon ist nicht mehr nur ein Telefon, sondern ein tragbarer Computer und Spielmaschine, ein PC ist auch ein Fernseher und Telefon. Die Bilder haben sich vermehrt.

Viel habe ich über den Ersten Weltkrieg gelesen, der sich in diesem Jahr zum 100sten Mal jährt. Mein Bild über diese Zeit hat sich verfeinert, es hat genauere Informationen und Schicksale bekommen, sich abgerundet. Doch Kriege toben weiterhin. Die Auslöser sind vielfältig und für mich unverständlich. Zu viele Menschen sterben aufgrund religiösen Fanatismus. Ich lese von der Hinrichtung hunderter Menschen im Irak. Obama schickt Truppen in diese Gegend und kooperiert mit dem Iran. Die Bundeswehr entsendet Truppen. Hunderte Mädchen sind in Nigeria weiterhin verschleppt. Am Ballermann soll nicht mehr aus Eimern gesoffen werden und unsere Bundeskanzlerin beklatscht in Brasilien die Tore der deutschen Mannschaft. Viele Nachrichten nebeneinander. Die muss ich schlucken. Ich weiß aber gar nicht mehr, wie ich mit diesem Durcheinander fertig werden soll. Religiöser Fanatismus regt mich auf. Er tut so, als hätte sich die Welt nicht weitergedreht, er möchte in mittelalterlichen oder noch älteren Zeiten stecken bleiben, alle Errungenschaften des 21. Jahrhunderts ausklammern. Wer ist Feind, wer Freund? Das formiert sich ständig neu. Wir sind aufgeklärt und gut informiert, die Wirtschaftssysteme arbeiten fortschrittlich gewinnmaximiert, die Gesellschaft will Bildung, doch es gibt da welche, die ignorieren mit Gewalt. Es gibt Gruppen, die dreist behaupten, alles besser zu wissen. Sie wollen eine andere Welt erzwingen. Don Quijote gegen die Flügel. Einfach absurd. In einer aufgeklärten Welt.

Der Ball rollt noch einige Tage. Die entführten Jugendlichen in Israel sind tot. Über Spielerfrauen wird oft berichtet, als wäre das ein Beruf. Eine muss sich besonders hervortun und Journalistin spielen. Ihre Kolumnen aus Brasilien werden verrissen, sie sind ohne nennenswerten Informationsgehalt, dabei wollte sie zeigen, wie intelligent Spielerfrauen sind, gibt zum Beweis ihren Abiturdurchschnitt an. Das interessiert keinen. Wer mit wem interessiert mich auch nicht und wer wem etwas finanziert schon gar nicht. Das ist so was von wurscht. Solche Nachrichten kommen vor, müssen aber nicht sein. Übersehen kann ich sie kaum, sie stehen neben den anderen.
Gesammelte Gegensätze sind ständig präsent, verschließen kann ich mich nicht vor ihnen. Das macht mich mittlerweile ganz verrückt. Doch eins ist mir klar. In einer früheren Zeit oder in einer anderen Welt wollte ich nicht leben. Ich bin froh, in diesem hier und jetzt gelandet zu sein, auch wenn es mich oft zerreißt und ich das Gelesene, Gehörte und Gesehene nicht mehr verarbeiten kann. Gehe ich über zur WM. Wann spielen die Deutschen das nächste Mal? Das Spiel Argentinien gegen die Niederlande war zum Einschlafen. Raketen in Israel. Und was kommt dann?
Das Endspiel.