Abbas Khider – Ohrfeige – Hanser Verlag – Rezension

Er hat diese Frau Schulz geohrfeigt und an ihren Stuhl gefesselt mit Klebeband. Sie soll endlich einmal zuhören und die wahre Geschichte von Karim Mensey hören, der aus dem Irak flüchtete mithilfe von Schleppern, nach Paris zu seinem Onkel wollte und in Dachau aus einem Lieferwagen geworfen wurde. Auf diese Art und Weise hören auch wir ihm zu. Dass seine Sachbearbeiterin bei der Ausländerbehörde, die Frau Schulz, kein Wort Arabisch versteht, interessiert ihn nicht. Zu lange hat er die Bürokratie in Deutschland ertragen, war nur eine Nummer, musste warten, durfte erst nach einem Jahr Arbeit einen Sprachkurs belegen, lernte einen Lebenslauf auswendig, um als Flüchtling anerkannt zu werden und schämte sich wegen des eigentlichen Grunds, nämlich Brüste. Irgendwann wuchsen ihm Brüste. Er hoffte, in Deutschland schnell Arbeit zu finden und Geld für eine Operation sparen zu können. Dann kam der 11. September und alles änderte sich.
Aufgrund der Flüchtlingsthematik habe ich zu diesem Buch gegriffen. Ich hatte viele Fragen. Kenne die schrecklichen Bilder aus den Medien. Doch diese Flüchtlingsgeschichte ist schon älter. Sie beginnt im Jahre 2000. Die Heime waren noch nicht derart überfüllt und über Quoten wurde noch nicht gesprochen. Mit der heutigen Situation kann ich den Roman also nicht vergleichen. Recht spannungslos plätschert die Erzählung dahin. Mir fehlt die Tiefe. So ein Schicksal ist doch schrecklich! Fern des Heimatlandes, abgestellt in einem Heim mit anderen, die geflohen sind, einer ewigen Warterei auf Anerkennung ausgesetzt, was macht man da? Karim kifft. Der Text wird von kursivierten Passagen unterbrochen, die sich als das reale Geschehen entpuppen. Der Rest ist Fantasie. Eine Abrechnung und Rache.
Was mache ich nun mit dem Roman? Was ich gesucht habe, erfinde ich dazu oder baue die Ansätze aus. Das Heimweh, zerschlagene Hoffnungen auf ein besseres Leben kommen nur in Ansätzen, ich baue mir die Zimmer und Häuser selbst, in denen Karim lebt, stelle mir vor, wie er in der bayerischen Provinz angestarrt wird. Seine Reaktion auf die Anschläge in Amerika kommt langsam. So warte ich auf den Ausbruch des Autors, auf Emotionalität, doch es kommt nichts. Schade. Das Thema trägt viel, all die Facetten und Nuancen lässt er aus. Autobiografisch sei der Roman nicht, erklärt Khider in einem Interview. Er lässt seine Erfahrungen einfließen und verfremdet ein wenig. Denn er teilt das Schicksal seines Protagonisten Karim. Er ist aus dem Irak geflohen, allerdings weil er politisch aktiv war, im Gefängnis gefoltert wurde, und das mit 19 Jahren. Durch mehrere Länder führte ihn seine Flucht, er hielt sich als Illegaler auf und gelangte nach Deutschland, wo er eine neue Heimat fand. Bei solch einem Schicksal erwarte ich mehr Biss, schließlich weiß er, wovon er spricht. Er soll nah an mich heranrücken und mich fertigmachen, sodass ich mich auf dem heimischen Sofa und mit dem gut gefüllten Kühlschrank wie eine verwöhnte Wohlstandsgöre fühle. Aber nichts.

In einem Interview mit Denis Scheck erklärte er, dass er zeigen wolle, dass man als Flüchtling nur eine Nummer ist, kein Mensch, kein Schicksal. Das ist leider oft so, wenn man in die Bürokratie gerät. Sein Thema ist jedoch viel größer.

Wie las ich in DIE ZEIT: Man liest dieses Buch und wundert sich regelrecht, wie aus diesem Stoff ein so langweiliger Roman werden konnte.
Ein netter Schlusssatz.

https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/ohrfeige/978-3-446-25054-3