Kai-Eric Fitzner – Willkommen im Meer – Rezension

Willkommen im Meer 02Tim Schäfer nimmt uns mit. Überall hin. In seinen Alltag, in seine Familie, in seine Gedanken, Beobachtungen und Überlegungen. Und in die Schule. Denn er ist Gymnasiallehrer und nimmt eine Stelle in Oldenburg an, bevor ihn die Arbeitslosigkeit ereilen kann.

In der Schule in Oldenburg stößt er auf altbekannte Strukturen. Die älteren Lehrer beäugen ihn kritisch, die Schüler mögen ihn. Er bringt frischen Wind in die angestaubten Klassenzimmer und legt Wert darauf, dass seine Schüler nicht alles nachplappern, sondern sich zu kritisch denkenden Menschen entwickeln. Alle Anfeindungen übersteht er gekonnt. Er ist der Gutmensch, der vom System nicht viel hält. Dazu gesellen sich seine Frau und seine Tochter und andere Verwandte. Nach und nach tauchen sie auf. Es wird getrunken, gekifft und gestritten. Seine Frau bleibt allzeit tough. Ihre Mutter scheint allmächtig. Die Mutter von Tim scheint das Paradebeispiel für Naivität und abgedroschene Phrasen, wie sie jeder von der älteren Generation her kennt. Inklusive nicht hinterfragten Lebensweisheiten. Tims Vater bleibt stumm und resigniert. Eine Bombe platzt Weihnachten. Sie ist leider nicht ganz plausibel. Der Weihnachtsabend auch nicht. Er endet abrupt.
Gespräche kommen leider oft belehrend und lehrbuchhaft rüber, ihr Kern jedoch stimmt. Auf die perfekt inszenierte und auf Erhalt getrimmte Welt trifft der Sarkasmus des Lehrers Tim aka Icherzähler. Er nimmt den Verein Mensa auseinander, kotzt sich richtig schön über das Bildungssystem aus und zieht über die PISA-Studie her, führt ein Lehrerkollegium vor. Zum Beispiel bei einer Zeugniskonferenz. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie so laufen könnte. Die Noten und die Beurteilungen von Schülern sind subjektiv. Schlechte Noten heißen, der Schüler taugt nichts anstelle von der Lehrer macht seine Arbeit nicht ordentlich. Es ist ein borniertes System, in dem wir leben. In jedem Bereich. Fitzner führt es vor.

Der Roman ist zehn Jahre alt und greift oft vor, ich erkenne das an Wendungen wie „der medial verseuchte Volksmund behauptet“. Heute tut er das noch stärker als damals, in zehn Jahren ist die gesamte Maschinerie enorm gewachsen, weiße Flecken gibt es kaum noch, wir werden pausenlos mit allem gefüttert und manipuliert. Es werden Themen angesprochen, die weiterhin aktuell sind. Das Bild der Gesellschaft hat sich nicht verbessert, im Gegenteil, es ist noch hässlicher geworden.
Nur die Figuren sind etwas zu geeicht, zu vorhersehbar, sie haben keine Kanten, sind zu sehr Gutmenschen, zu perfekt und ambitioniert, haben immer eine Antwort und einen Plan in der Tasche, sodass alles gut werden kann. Die Leichen im Keller sind durchweg positiv. Nur Tim wird im Verlauf immer blasser, er weiß nicht mehr, was vor sich geht und lässt alles geschehen.

Es gibt gute Gedankengänge, notwendige Kritik, die in Romanen häufig zu kurz kommt. Es gibt aber auch enorm kitschige Situationen, die die Handlung hinbiegen, damit alles nicht im Sande verläuft, so wie es im realen Leben meistens der Fall ist. Die Sprache bleibt durchweg kreativ, ist locker aber nicht zu aufgesetzt und übertrieben. Er versucht nicht krampfhaft lustig zu sein, sonst müsste man das Buch weglegen, seine Kritik käme nicht adäquat durch.
Zum Schluss jedoch geht es mit ihm durch. Er fantasiert eine Welt zurecht, die es nicht geben wird. Seine Figuren werden selbstlos und haben alle Mittel der Welt zur Verfügung, ja, sie scheinen fast allmächtig zu werden, was mich von dem Text entfernt. Zuviel des Guten. Die Bösen kommen an den Pranger. Schön wäre es. Der Roman stellt eine Gerechtigkeit dar, die wir gerne hätten und nicht finden. Das stört irgendwann.