Anat Talshir – Über uns die Nacht – Diana Verlag – Rezension

Anat TalshirEs geht um Elias und Lila und ihre ungewöhnliche Geschichte, die im Jahre 1947 in Jerusalem beginnt, schwungvoll, voller Einzigartigkeit und Liebe. Die beiden müssen nicht überlegen, ob sie zueinander passen, sie sind eins. Doch beide entstammen unterschiedlichen Kulturkreisen. Lila ist Jüdin, Elias Araber. Auf ihrer ersten gemeinsamen Reise interessiert sie das noch nicht, die Unsicherheit lauert im Hintergrund. Elias nimmt sie geschäftlich und heimlich mit nach Istanbul, sie verleben eine herrliche und freie Zeit. Doch nach der Heimkehr gehen sie in ihr altes Leben zurück, in dem sie nicht zusammen sein dürfen, sich verstecken und im Verborgenen lieben. Am 29 November 1947 beschließt die Generalversammlung der vereinten Nationen die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Nun wird es unmöglich für die beiden sich zu treffen. Eine Mauer trennt den Westen der Stadt vom Osten. Die politischen Fronten verhärten sich. Die Liebe bleibt und die Sehnsucht nacheinander. Elias und Lila leiden. Bisher waren sie toleranter, als diese Gesellschaft es jemals sein wird.

„Meine Eltern haben mir beigebracht, dass ich dem auserwählten Volk angehöre“, sagte sie.
„Das kannst du ja weiter glauben. Aber versuchen wir doch, Gemeinsamkeiten zu finden, keine Unterschiede. Du bist Patriotin, und dass respektiere ich. Aber wir haben etwas gefunden, das nur uns beiden gehört und sich keiner äußeren Vorstellung unterwerfen muss.“
Sie müssen sich der Politik unterwerfen. Ihre Verzweiflung steckt Lila in die Hoffnung, Elias eines Tages wiederzusehen. Sie lebt ihr Leben weiter, die Hoffnung ist ihr Motor. Elias bleibt zerrissen zurück, zwischen Familie und seiner Liebe zu Lila. Niemand weiß, ob sie sich jemals wiedersehen können.
Wie lebt man solch ein Leben weiter? Vergisst man einfach, was war? Rebelliert? Fügt sich?
Anat Talshir beschreibt die Gemütszustände der Personen sehr genau, wir stehen als Leser ständig direkt neben ihnen, schauen ihnen über die Schulter. Dann überspringt sie Jahrzehnte, um uns später zu berichten, was in dieser Zeit passiert ist.

Zwei Stränge. Jetzt und damals.
Elias liegt im Krankenhaus, er hat Schmerzen, die die Ärzte nicht erklären können. Nomi besucht ihn regelmäßig. Sie ist eine Freundin aus der alten Zeit. Damals, das war die Zeit, als er glücklich war, glücklich mit Lila. Er erzählt ihr davon. Damals war Nomi noch ein Kind.
Es gibt keine unnötigen Passagen in diesem Buch. Die Schnitte stimmen, der Spannungsbogen stimmt und kitschig wird es niemals, wie der Titel vielleicht vermuten lässt. Im Original lautet er „Vergesse ich dein“ und ist eine Zeile aus dem Psalm 137 und damit wird deutlich, wie sehr es um Sehnsucht und das Vermissen geht. Und nach einem freien Leben. Der Bäcker sagt: „Jeden Tag kommen schlechte Nachrichten. Wo sind die ganzen guten Nachrichten geblieben?“
Die guten Nachrichten lassen Jahrzehnte auf sich warten. Die Mauer fällt. Plötzlich ist alles wie früher. Ist es das wirklich? Was hat die Zeit mit den Menschen gemacht? Kann man einfach dort anknüpfen, wo man aufgehört hat?

Diese Fragen beantwortet der Roman „Über uns die Nacht“. Auch wir haben solch eine Situation erlebt als 1961 eine Mauer in Deutschland gebaut wurde und sie 1989 wieder fiel, Familien, Freunde und Paare durch die Politik getrennt wurden.
Am Ende bleibt die Feststellung: Vermissen ist ein Schmerz. Die Hoffnung treibt an, verleiht Kraft und Sinn. Denn es kann alles gut werden. Es kann.

Hier geht es zum Buch: http://www.randomhouse.de/Taschenbuch/UEber-uns-die-Nacht-Roman/Anat-Talshir/e441136.rhd