Lange haben wir auf den Sommer gewartet, nachdem der Winter uns so lange quälte und der Frühling sich gar nicht blicken ließ. Dauernd hörten und lasen wir von Tiefdruckgebieten, Regenschauern und anhaltend tiefen Temperaturen mit der Bemerkung, zu kühl für diese Jahreszeit. Ein Blick auf die Wetterkarte verursachte Wutanfälle. Im Juni war es in Moskau wärmer als bei uns, oben in Skandinavien sogar wärmer als in Italien, wann kommt das schon mal vor. Der Klimawandel wurde wieder ausgepackt, auf ihn gezeigt, seht her, er ist es schuld, und damit wir, da wir nichts tun, also sind wir schuld an den uns umgebenden Temperaturen. Voller Sehnsucht erinnerte ich mich an die Kinderzeit, als ich im Nickipullover an einem der ersten warmen Tage im Frühjahr in einer Wiese saß, Gänseblümchen pflückte und die Insekten um mich herumschwirrten und geschäftig über meine Beine liefen, es roch nach Aufbruch, es roch nach Leben.
Dann endlich die Wende. Sommer kommt ins Land. Ich reiße die Fenster und Türen auf, lasse die laue Luft herein und schlafe in geöffneten Räumen. Herrlich. Ich erwarte, endlich aufzutauen und durchzuatmen. Doch ich verstehe mein eigenes Wort in meinen vier Wänden nicht mehr. Draußen vor der Tür brummt etwas. Ich schließe das Fenster wieder. Auch die Balkontür. Nachts möchte ich die Wohnung durchlüften lassen, kippe die Fenster. Ich kann nicht schlafen. Kann mich nicht auf mein Buch konzentrieren. Setze mich im Bett auf. Was brummt denn mitten in der Nacht da draußen? Ich orte die Klimaanlage auf dem gegenüberliegenden Dach. Ich lebe in einer Kleinstadt und mit den Jahren hat man uns zugebaut, ringsherum Supermärkte angesiedelt. Eingesperrt. Jetzt brummt da was. An den folgenden Tagen auch. Ich rufe das Bauordnungsamt an. Man will sich kümmern. Tagelang passiert nichts. Die Temperaturen steigen, das Brummen wird lauter, erinnert mich auch an ein Rauschen. Ein Rauschbrummen. Ich frage nach. Die Anlage hatte eine Störung, die ist behoben. Aber es rauscht weiter. Dann ist das so. Man lässt mich mit dem Geräusch sitzen. Die Nachbarn geben mir recht. Es nervt. Geändert wird aber nichts. Wütend gehe ich den Ferien entgegen. Erster Tag. Frühmorgens, noch vor halb sieben. Ein Kreischen auf der Straße. Ich stehe senkrecht. Stürze zum Fenster und sehe einen älteren Mann im Overall mit einem Gerät in der Hand. Er schneidet Grünzeug. Ich merke mir den Aufdruck seines Overalls, schreibe an seinen Chef eine Mail, auf dass er mir die Adresse und die Urlaubsplanung des Herrn durchreiche, damit ich an seinem ersten Urlaubstag noch vor halb sieben vor seinem Haus lärmen kann.
So bleibt es den ganzen herbeigesehnten Sommer lang. Der Ort wird regelmäßig von Motorenlärm, Gekreische, Gesäge, Gemähe und Gebrumme geflutet. Die Müllabfuhr fährt schon um halb sieben unsere Straße entlang. Montags Biotonne, mittwochs Hausmüll. Donnerstags der Gelbe Sack. Dazwischen Sperrmüll. Kaum ein ruhiger Tag liegt zwischen dem Lärm. Die Natur explodiert nach dem langen Winter. Wird klein geschnitten und im Zaum gehalten mit benzingetriebenen Geräten. Selbst wenige Blättchen werden mit einem entsetzlich schreienden Laubsauger die Straße entlang getrieben. Mit einem Besen hätte man diese viel schneller zusammengefegt. Und vor allen Dingen leiser. Deshalb fehlen heutzutage die Oberarmmuskeln, die Maschinen haben die Arbeit übernommen. Ich erinnere mich an meine Zeiten in größeren Städten. Dort lebte es sich leiser als auf dem Land.
Ich flüchte aus dem Ort. Noch weiter in die Natur. Ein Freund, mit dem ich spazieren gehe, stoppt, legt einen Finger auf den Mund, damit wir still sind, hört in die Wiese und fragt, ob ich das auch höre, die ganzen Bienen und Hummeln. Ich muss ihn enttäuschen mit meiner Antwort. Das ist nicht das schöne Summen und Brummen der fliegenden Bestäuber. Ein Generator, ein Motor oder irgendetwas gibt dieses Geräusch von sich. Er lauscht noch einmal angestrengt in die Wiese. Ich habe recht. Die Insekten sind rar geworden. Zwei Fliegen hatte ich bislang in der Wohnung. Sonst nichts mit mehr als zwei Beinen.
Ich werde traurig. Nachher, wenn ich schlafen möchte, muss ich wieder die Fenster schließen. Geräusche begleiten mich 24 Stunden am Tag. Den Sommer kann ich nicht genießen. Er ist mir zu laut geworden. Ich freue mich glatt auf den Winter, am besten mit viel Schnee, dann bleiben die Maschinen verschlossen und warten auf ihren Einsatz im Sommer. Die Müllwagen werden wieder mittags fahren. Und ich werde zittern im Schnee und von Dingen träumen, die ich nicht haben kann: Sommer und Ruhe gleichzeitig.