Das neue Einkaufszentrum.

Minto01Das neue Einkaufszentrum.

Ein Video und ein Text aus einer überfüllten Stadt.

Viele sind gekommen, um das neue Shoppingcenter anzusehen. Vorher stand an dieser Stelle das Schauspielhaus und eine kleinere Einkaufspassage, genannt Theatergalerie, eröffnet Ende November 1993. In den letzten Jahren standen viele Ladenlokale in dieser Theatergalerie leer. Deshalb hat man sie abgerissen und noch größere Verkaufsflächen gebaut?
Einige hundert Meter weiter gab es den sogenannten Lichthof, eine Passage mit Ladenlokalen. Auch sie wurde abgerissen und umgebaut, gehört jetzt zum Minto. Noch einige hundert Meter weiter Richtung Hauptbahnhof befindet sich das Vitus-Center. Auch dort stehen seit vielen Jahren Verkaufsflächen leer. Die besten Zeiten sind vorbei. Dazwischen stehen schon lange viele Ladenlokale leer. Und trotzdem wurde neu gebaut?
Das Minto. 110 Shops auf 46.000 Quadratmetern, so steht es auf der Website der Mall, riesig, unüberschaubar, gigantisch …
Minto. Was bedeutet der Name eigentlich? Minto bedeutet in Mönchengladbacher Mundart „meins“. Dieser Name siegte bei einem Namenswettbewerb, wurde aus über 2000 Vorschlägen ausgesucht.
Schon lange im Voraus wurde die Eröffnung geplant, besonders verkehrstechnisch. Die Stadt hat Empfehlungen ausgesprochen. Man soll, wenn es geht, den Innenstadtbereich meiden. Auf Busse und die Bahn wird hingewiesen. Besucher können die Parkplätze am Nordpark nutzen, Shuttlebusse stehen bereit. Besonders am Samstag wird mit einem Ansturm von bis zu 80.000 Menschen gerechnet.
Jetzt ist Samstag. Wir stehen mittendrin. Ich ziehe Vergleiche.

Mönchengladbachs Einwohnerzahl beträgt ca. 261.611 (laut Website der Stadt). Im Stadtgebiet leben ca. 74.800, genau so viele Menschen wurden zur Eröffnung erwartet. So viele Konsumenten.
Sie sollen alle in das neue Einkaufszentrum.
Brauchen wir noch eins? Beworben wird es überall, angepriesen als das modernste in der Region, gelegen zwischen Düsseldorf und Roermond. Als müsste eine Konsumlücke geschlossen werden. In Düsseldorf gibt es mehrere große Shoppingcenter, in Roermond befindet sich das Outlet Center, das sich ständig vergrößert. Wo wollen wir denn noch hin? Vor gut fünf Jahren konnte man an einem Samstagvormittag einen recht ruhigen Ausflug nach Roermond machen, bekam sofort einen Parkplatz, konnte durch die Stadt und das Outlet Center schlendern. Das ist heute nicht mehr möglich. Zu viele Menschen. Der große Parkplatz am Outlet wird ständig erweitert.

Konsumterror.

Apropos Roermond. Letztes Jahr brannte im Hafen eine Jacht, steckte eine große Lagerhalle an. Asbest wurde freigesetzt. Die Stadt wurde sofort abgeriegelt. Die Geschäfte blieben tagelang geschlossen. Die Stadt musste vom Asbeststaub gereinigt werden. Und was blieb offen? Das Outlet. Das von der Stadt eigentlich nicht abzutrennen ist. Es sind nur wenige Schritte. Als würde eine giftige Wolke Grenzen kennen. Der Konsum musste aufrecht erhalten bleiben. Koste es, was es wolle. Dafür hat man keine Worte mehr.

Außer Terror.

Menschen sollen angelockt werden mit schönen Sachen, angeblich schönen Sachen in bunten Geschäften, zarte Musik wird unterlegt, die Räume parfümiert. Wir sollen uns wohl fühlen und nicht so schnell gehen. Flanierkultur nennen es die Geschäftsleute, früher hieß das Schaufensterbummel. Die rechnen in Passantenfrequenz. Wir sind denen doch eigentlich egal, als Menschen.

Warum kommen so viele Menschen zur Eröffnung? Haben die alle keine Klamotten mehr im Schrank, ist der Kühlschrank leer? Neugier. Ist alles so schön bunt hier.
Die gehen shoppen. So heißt das heute. Die gehen in Geschäften spazieren, nicht im Wald. Die schauen sich an, was es gibt, und nehmen auch was mit. Shoppen ist zu einer Freizeitbeschäftigung geworden. Man geht nicht mehr, weil man muss, sondern weil man nicht weiß, was man sonst tun soll. Angefixt von der Werbung, die einredet, was man angeblich alles braucht. Kurzzeitig ein Glücksgefühl nach dem Kauf. Doch das währt nicht lange.

Aber …

Immer mehr Menschen verweigern sich. Ihnen wird alles zu viel. Minimalismus wird propagiert. Der Hausstand und das Leben entrümpelt. Frage: was brauchen wir wirklich? Eigentlich nicht viel. Dann der Blick durch die eigene Wohnung. Was sich dort alles angesammelt hat! Eigentlich ersticken wir in allem, was wir haben. Luft muss her. Schnell wird die Reduktion zu einem Automatismus. Immer schneller wandern Dinge, die seit Jahren nicht gebraucht und nur gehortet wurden, hinaus. Platz entsteht. Freiheit macht sich breit. Wir können uns leicht abkoppeln. Wir brauchen keinen neuen Schrank oder gar eine größere Wohnung, um alles zu verstauen. Wir brauchen gar nicht so viel! Wir brauchen endlich Ruhe vor diesem Konsumterror. Die müssen wir uns nehmen!

Ich erinnere mich. Früher, als ich Kind war, ist meine Mutter mit mir zwei, vielleicht drei Mal im Jahr hier in diese Stadt gefahren, um einzukaufen. Schuhe, Kleidung, vielleicht eine neue Schultasche. Zwei bis drei Mal im Jahr! Ach nein, die Schultasche kam von den Verwandten aus der DDR, die roch ganz anders als unsere Sachen im Westen. Unsere Schränke und Kinderzimmer waren übersichtlich. Herrlich, in dieser Zeit aufgewachsen zu sein!

Minimalismus.

Es ist gar nicht mehr so viel Geld da. Wir müssen überall sparen und für das Alter vorsorgen, die Rente ist doch nicht sicher. Die Prognosen für uns sind düster. Gewitter. Trotzdem melden die Händler ein sehr gutes Konsumklima.

Minimalismus und Reduktion. Manche verzichten auf fast alles. Manche reduzieren und orientieren sich neu. Manche kaufen mal ein Jahr nichts.

„Ich habe nichts zum Anziehen“, diesen Satz hat bestimmt fast jeder schon einmal gedacht oder gesagt, wenn er oder sie nichts passendes im Schrank für eine bestimmte Gelegenheit gefunden hat. Nichts zum Anziehen, obwohl der Kleiderschrank groß ist und gefüllt. Die Fülle bringt die Ratlosigkeit. Es ist genug vorhanden, doch was auswählen? Die Fülle bringt Unentschlossenheit, Unübersichtlichkeit. Wir kennen uns in unserem eigenen Kram nicht mehr aus! Wir ersaufen in den unendlichen Weiten unserer Schränke.
Warum kaufen wir also immer wieder etwas, obwohl wir genug haben? Weil die Mode eine andere ist, weil die Farben nicht mehr stimmen? Oder weil wir uns etwas Gutes tun wollen, der Kauf als Belohnung? Oder weil die Werbung uns manipuliert hat? Oder weil der andere das hat und wir nicht? Es gibt unzählige Gründe für den Konsum.

Die Städte platzen aus allen Nähten. Die Kleinstädte platzen aus allen Nähten. Ruhe ist rar geworden. Ich selbst wohne in einer Kleinstadt, die in den letzten Jahren umstrukturiert worden ist. Geschäfte und Supermärkte, die vorher außerhalb im Industriegebiet angesiedelt waren, wurden in die Stadt geholt. Angeblich sei das der neueste Trend. Zusätzlich wurden und werden weitere Gebäude mit Geschäftszeilen gebaut, ein großer Sportausrüster wird bald dazukommen. Der Ort ist so voll geworden, dass ich in ihm ersticke. Bäume gibt es immer weniger. Sie müssen Gebäuden weichen. Es ist laut geworden durch den ständigen Lieferverkehr, laut durch die unzähligen Autos, die sich täglich durch die Einbahnstraße quälen. Der Konsum vernichtet unsere Lebensqualität. Was zählt, ist die Gewerbesteuer.

Minimalismus.

Aber … Diese ganzen Minimalisten gefährden unsere Wirtschaft! Sie konsumieren nicht mehr spontan und unüberlegt. Sie gefährden damit Arbeitsplätze. Eine Gefahr für die Volkswirtschaft sind sie! Die Wirtschaft ist auf Wachstum ausgelegt, wir brauchen den Konsum, damit es läuft!
Doch es läuft nicht immer und nicht lange. In Amerika stehen viele Malls leer und verrotten. Der Markt ist schon längst übersättigt. Wie lange wird es hier gutgehen?

Zur Eröffnung kamen nicht so viele Menschen, wie erwartet. Parkplätze blieben frei.
Die Konsumstimmung macht mich depressiv. Wir benehmen uns wie die brave Herde des Kapitalismus.