Mein Europa ist ein Durcheinander

Mein EuropaAm 25. Mai fand die Europawahl statt. Natürlich bin ich zur Wahl gegangen. Ich finde es wichtig eine Stimme zu haben und sie abzugeben. Doch auf europäischer Ebene tue ich mich schwer, ich kann dieses Gebilde Europa nicht fassen und mit mir wohl einige andere auch nicht, daher lag die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent. Gewählt habe ich nach den mir bekannten Strömungen in der Politik, in der Hoffnung, damit nicht völlig falsch zu liegen, die Wahlplakate waren mir zu ausdruckslos, zu allgemein, ich ignorierte sie daher nach kurzer Zeit. Europa und das dazugehörige Parlament sind so weit weg. Für mich jedenfalls. Früher sagten wir EWG. Das hieß Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Darunter konnte ich mir etwas vorstellen. Dann wurde erweitert und ausgebaut, das Ganze auf Säulen gestellt und mit verschiedenen Verträgen dingfest gemacht. Ich verlor es aus den Augen, sah es erst wieder, als die Zeit der Wirtschaftskrise begann. Nein, schon bei der Einführung der gemeinsamen Währung Euro warf ich einen Blick auf das Staatenbündnis und wunderte mich gewaltig, wie man so viele Länder mit unterschiedlichen Strukturen und Menschen unter einen Hut bringen wollte. Hat es funktioniert?

Was ist Europa?
Deutschland ist ein Gründungsmitglied der Europäischen Union. Ich als Deutsche bin auch Europäerin. Wie muss ich mich fühlen? Wie fühlt man sich als Europäer? Ich weiß ja noch nicht mal, wie ich mich als Deutsche fühle, fühlen soll. Ich bin ein Mensch und wurde in diesem Land geboren. Genauso ist es bei einem Italiener oder Griechen oder Franzosen oder oder. Wir alle haben unterschiedliche Auffassungen von der Gestaltung unseres Lebens, haben andere Gewohnheiten und andere Ziele. Jedes Land hat seinen Schwerpunkt. Und die sollen auf einmal alle zu regieren sein von einem übergeordneten Parlament? Mir scheint das eine sehr schwere Aufgabe zu sein. Die Wahlplakate sind deshalb zu einsilbig. Was bringt mir dieses Europa und das dazugehörige Parlament? Verbote wie die der Glühlampe und Einführung der Energiesparlampe mit hochgiftigem Quecksilber ohne Packungsbeilage. Toll gemacht. Ich fühle mich verschaukelt. Die Europäische Zentralbank kümmert sich derweil um den Rettungsschirm, der in der Finanzkrise aufgespannt werden musste, damit Europa einig bleiben kann. Sonst wären manche Länder aufgrund ihrer Schulden weggebrochen. Jedes Land kämpft mit seiner eigenen Wirtschaft, die EU soll es beim Misslingen richten. Und da wären wir wieder bei der Unterschiedlichkeit der Völker und Länder. Wie sollen wir uns vergleichen? Wo ist die Basis? Jedes System wir anders geführt. Die Spanier kämpfen mit der Arbeitslosigkeit, besonders die Jugend hat Schwierigkeiten mit der eigenen Zukunft im Lande, die Griechen werden enorm beschnitten, sie sparen bis an die Schmerzgrenze, den Portugiesen geht es ähnlich. Auch bei uns heißt es immer, wir müssen den Gürtel enger schnallen. Ausgenutzt und ausgepresst fühlen wir uns schon lange. Der Staat fordert und kürzt, dauernd wird irgendetwas teurer, die Banker machen weiter wie vor der Finanzkrise, die Löhne hinken hinterher. Deshalb wollen viele das Gerüst EU nicht mehr haben, jedenfalls nicht so, wie es jetzt ist. Das haben diese Wahlen gezeigt. Die nationalistischen Parteien konnten Wähler gewinnen. In einer Zeitung las ich, dass ein Rechtsruck passiert, wenn Bürger sich nicht mehr verstanden fühlen. Aber womit sind wir nicht zufrieden? Mit der Politik des Landes oder mit der EU. Das kommt oft in einen Topf.
Durch die Entsendung von Mitgliedern der Anti-Europa-Parteien sitzen nun Menschen im Europaparlament, die gegen die EU sind. Ich lasse das mal so stehen. Ich weiß nicht, was ich mit dem ganzen Gebilde anfangen soll.

Was bedeutet Europa für mich?
Grenznah aufgewachsen mussten wir früher beim Passieren der niederländischen Grenze unseren Pass vorzeigen. Manchmal wurden wir jedoch einfach durchgewunken von den Herren in Uniform. Heute steht niemand mehr dort, Grenzen gibt es nicht mehr und das ehemalige Zollgebäude beherbergt nun ein Restaurant. Heute kann ich Kaffee in den Niederlanden mit Euro bezahlen und führe nicht mehr zwei Währungen, D-Mark und Gulden, mit mir. Besteuert wird aber immer noch unterschiedlich. Deshalb kaufen wir den Kaffee in den Niederlanden, dort ist er deutlich billiger. Ich weiß noch, dass ich den Euro so lange wie es ging gemieden habe. Das Geld lag fremd in der Hand. Ich traute ihm nichts zu. Deutlich gebessert hat sich mein Gefühl nicht. Und umrechnen in D-Mark, das tue ich immer noch. Alte Konstanten legt man so schnell nicht ab. Grenzen baut man so schnell nicht ab. Wie sagt unser amtierender Finanzminister Schäuble? „Europa ist kompliziert. Man muss immer wieder erklären, erklären, erklären.“ Es erklärt aber niemand. So tappt auch der Chefredakteur der ZEIT in die Falle und gibt bei der Wahl zwei Stimmen ab, einmal als Italiener, einmal als Deutscher, und behauptet, er hätte es nicht besser gewusst. Na, das glaube ich nicht. Wollte er damit das Europadebakel demonstrieren? Dass eben keiner weiß, wohin man in Europa gehört?
Einfacher sollte alles werden, das Reisen, das Arbeiten, die Gerichtsbarkeit und zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl sollte es kommen. Ein starkes Europa innerhalb der Globalisierung. Nur wenn wir zusammenhalten, sind wir stark. Das hört sich schön an. Ich kann weiterhin nichts mit diesen Gedanken anfangen, weil ich nur die Bürokratie und den Lobbyismus sehe. Ich komme ins Grübeln.

Wer regiert Europa?
Die Wirtschaft. Ich glaube nicht und ich sehe nicht, dass das Parlament für die Bürger entscheidet. Die Lobbyisten sitzen mit am Tisch. Viele Stimmen behaupten, dass sie die Entscheidungen treffen, nicht die gewählten Volksvertreter.

Was passiert nun mit Europa?
Das weiß ich nicht. Es wird irgendwie weitergehen. Mehr Staaten werden vielleicht noch aufgenommen. Grenzen werden sich ändern. Das Parlament bildet sich gerade. Wer es anführen soll, ist noch nicht klar, die Politiker kämpfen für ihre Kandidaten. Der Apparat wird weiterlaufen. Die Völker haben revoltiert, wie es in einem Artikel in der ZEIT ONLINE stand. Trotzdem wird alles weitergehen wie bisher, davon bin ich überzeugt. Systeme sind schwerfällig. Die Gegenstimmen sind noch zu leise, nur in den Ländern haben sie überrascht, wie in Frankreich oder England. Im August wird ein Buch erscheinen mit dem Titel „Weil Europa sich ändern muss“. Im Gespräch mit Gesine Schwan, Robert Menasse und Hauke Brunkhorst. Vielleicht werde ich dort interessante Ansätze und Meinungen finden.

Mein Fazit
Europa ist und bleibt für mich unübersichtlich. Ich muss in mehreren Ebenen denken und traue dem Apparat nicht. Ich bin weiterhin der Meinung, dass er zu aufgebläht und zu bürokratisch ist. Robert Menasse behauptet das Gegenteil in seinem Buch „Der europäische Landbote“. Er wollte eigentlich einen Roman schreiben, in dem ein Europapolitiker die Hauptrolle spielt, dann traf er auf das System und wunderte sich über die offenen Türen, die schlanke Bürokratie, die hochqualifizierten Beamten und funktionale Hierarchien, wie es im Klappentext heißt. Also schrieb er zunächst über das Angetroffene. Das macht mich extrem neugierig. Andererseits wimmelt es von Berichten, die wiederum das Gegenteil behaupten. Es ist ein Karussell. Ich werde mich intensiver mit dem Thema auseinandersetzen müssen, um zu einer Meinung zu kommen. Nur meckern und nicht genau wissen, was wirklich läuft, ist keine Methode. Ich werde mir auch den Film „The Brussels Business“ anschauen und dann sehen, was diese Informationen mit mir machen. Ob sie mich verändern, ob ich jemandem glauben kann und in Europa eintauchen kann. Ob ich das überhaupt muss. Vielleicht kann ich einfach so bleiben, wie ich bin und erst unsere Kinder fühlen sich grenzübergreifend.

Zum Weiterlesen:
Robert Menasse – Der europäische Landbote: http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-552-05616-9

Robert Menasse – Weil Europa sich ändern muss: http://www.springer.com/springer+vs/politikwissenschaft/book/978-3-658-01391-2