Inside IS – 10 Tage im Islamischen Staat – Jürgen Todenhöfer

Mir ist immer noch ganz mulmig, gerade habe ich das Buch zugeklappt. Es geht um ein Thema, über das wir hier und da hören, es vielleicht nicht so ernst nehmen, denn es ist ja so weit weg. Wir sitzen schön im Warmen in unserer westlichen Welt. Syrien, der Irak und die anderen arabischen Länder sind weit weg.

Jürgen Todenhöfer war da, er war mittendrin. Beim IS. Zuvor hatte er ein halbes Jahr mit deutschen Kämpfern des IS geskypt, um eine Garantie für seine Reise zu bekommen, um überhaupt reisen und dokumentieren zu können. Normalerweise tötet der IS Journalisten und Andersgläubige. Denn für sie ist die Welt einfach: es gibt nur den Islam. Der regelt alles. Eine weitere Gesetzgebung braucht es nicht. Geurteilt und bestraft wird nach der Sharia. Juristen sind überflüssig. Nach einigem zähen Ringen bekam er schließlich die offizielle Erlaubnis des Kalifen, den Islamischen Staat zu bereisen, zu filmen, zu fotografieren und Interviews zu führen. Im Dezember 2014 ging es los. Todenhöfer reiste mit seinem Sohn und einem Freund an die türkische Grenze, um von dort aus in den Islamischen Staat geschleust zu werden. Etwas abenteuerlich gestaltete sich der Grenzübertritt, dann war er da, mitten im IS. Im Rekrutierungslager herrschte eine ausgelassene, freundliche Stimmung. Sie wurden neugierig aufgenommen. Erst einen Tag später traf er seinen Interviewpartner der letzten Monate. Frei bewegen durfte er sich allerdings nicht, ständig waren Kämpfer um ihn herum, die ihn von einem Ort zum nächsten brachten und genau beobachteten, mit wem er spricht und was sein Sohn fotografiert. Handys und Computer wurden ihnen sofort bei der Ankunft abgenommen. Todenhöfer unter Terroristen.

Es drängte ihn die Frage, warum sich so viele Männer als Kämpfer anschließen, warum sie diesen mittelalterlichen Idealismus als ihre neue Religion annehmen. Und wie sich das tägliche Leben im Islamischen Staat gestaltet. Kann man dort normal leben?
Ein wenig erfahren wir darüber in seinem Buch.
Der Koran regelt das Leben. Er ist durchzogen von Barmherzigkeit. Das wiederholt Todenhöfer in seinen Interviews via Skype und während seiner Reise immer wieder. Was er beim Islamischen Staat findet, ist alles andere als barmherzig. Diese Auslegung des Koran hat nichts mit Barmherzigkeit zu tun. Warum schließen sich trotzdem so viele als Kämpfer an, auch aus Deutschland? Ganz klar wird es mir auch nach der Lektüre des Buches und der weiterführenden Beschäftigung mit dem Thema nicht. Noch nicht einmal Musik ist erlaubt. Rauchen auch nicht. Die Sklaverei ist wieder eingeführt worden. Eigentlich leben alle in ständiger Angst. Der Islamische Staat sagt, die Menschen würden ihn langsam akzeptieren. Ich denke, sie sind eingeschüchtert und schaffen es nicht zu fliehen. Eingeschüchtert durch die Grausamkeiten, die öffentlich begangen werden. Einem Dieb wird die Hand amputiert. Shiiten werden getötet, sie gelten als Abtrünnige. Grundsätzlich soll jeder umgebracht werden, der nicht konvertiert oder eine Schutzsteuer zahlt (das gilt lediglich für Christen und Juden). Wirklich jeder.
Das wären Hunderte Millionen von Menschen. Die sollen wirklich alle getötet werden? Ein klares Ja als Antwort. Das ist Völkermord. Wie kann sich eine Gruppierung als die einzig Wahre darstellen und alle anderen sollen sich unterwerfen? Ausländische Gefangene werden vorgeführt, sie werden öffentlich geköpft, da die Regierungen für ihre Staatsbürger nicht zahlen. Und die Weltmächte schaffen es nicht, diesen Islamischen Staat zur Räson zu bringen. Was läuft falsch?
Das frage ich mich dauernd, während ich das Buch lese. Wir kennen aus den Medien die Meldungen und Videos des IS. Wir sind einigermaßen informiert. Aber eben nur einigermaßen, da im täglichen Informationsdschungel viel verloren geht. Dann geht eine Bombe in Paris hoch, die Büros einer Satirezeitschrift werden zusammengeschossen, ein israelischer Supermarkt wird überfallen. In Deutschland gibt es auch schon Terrorwarnungen. Ein Fußballspiel wird abgesagt. Stimmt, und in England war auch schon mal etwas. IS ruft zu Anschlägen auf. Waren die das? Woher sollen wir das wissen.
Todenhöfer ist jemand, der offen seine Meinung sagt, offene Briefe schreibt und dafür nicht nur Kritik, sondern Hetze erntet. Offene Worte passen nicht jedem. Dabei sollen sie nur helfen, dass wir uns eine Meinung bilden können. Es gibt mittlerweile zu wenig streitbare Menschen, die beide Seiten kennenlernen wollen. Aufgemischt wird zu selten. Was haben wir davon? Einheitsbrei und einen Mainstream, dessen Bewegungslosigkeit nicht mehr zu ertragen ist. Todenhöfer reißt uns aus dieser lethargischen Bequemlichkeit mit seiner Arbeit. Er zeigt uns eine Seite neben der offiziellen Berichterstattung. Dafür bekommt er Todesdrohungen. Ihm wird sogar die Verharmlosung des Holocausts vorgeworfen. Bleiben wir doch mal auf dem Teppich! Der respektvolle und faktenreiche Diskurs ist aus der Mode gekommen. Streiten ist eine Kunst, die nicht mehr beherrscht wird.

Dieses Buch wird noch lange in mir nachhallen.
Obwohl ich vom täglichen Leben nicht viel erfahre. Wie sieht der Alltag einer Familie dort aus? Er wird es selber nicht erfahren haben, er durfte nur so weit, wie seine Aufpasser ihn ließen. Der IS wollte ein positives Bild abgeben. Gelungen ist es ihm nicht. Das bestätigen die Berichte der Menschen, die geflohen sind.
Im Grunde dreht sich die Reportage um wenige Fragen. Immer wieder bohrt er nach, das wird nicht gerne gesehen, immer wieder wiederholt er seine Fragen nach dem Warum. Warum folgen die Männer, warum wollen sie so leben und warum meinen sie, dass ihre Auslegung des Korans Allahs Wille ist?
Ich habe das Thema neben den üblichen Schlagzeilen an mich herangelassen und entdecke die Bedrohung, bin ganz entsetzt von dem Zulauf, verstehe die Beweggründe weiterhin nicht. Seine Angespanntheit, die während des Lesens auf mich übersprang, bleibt. Danach fehlen mir die Worte.

Anschlag in Bagdad.
Anschlag in Istanbul.
Deutsche unter den Toten.
Es kommt immer näher. Ich drehe mich dabei im Kreis. Ich verstehe es einfach nicht.
Kann man wohl auch nicht.