Florian Illies – 1913 Der Sommer des Jahrhunderts – Rezension

1913 IlliesNiemand ahnte im Sommer des Jahres 1913, dass im darauffolgenden Jahr alles anders sein würde, dass es einen Krieg geben könnte. Es gab einige die unkten, allein schon aufgrund der Zahl 13, die als Unglückszahl gefürchtet wird. Illies hat einiges über das Jahr zusammengetragen. Er schreibt, 1913 sei ein „völlig überdrehtes Jahr“. Der erste Looping wird geflogen. Lutz springt zum ersten Mal den Lutz. Hitler spaziert im Park von Schloss Schönbrunn, dort spaziert auch Stalin, Kaiser Franz Josef fährt in der Kutsche vorbei, so viel Geschichte auf einmal, das Unheil ist im Anmarsch. Maler, Literaten, Denker, Aufbruch und Wildheit, dazwischen die Meldung von der Geburt Gert Fröbes. Das erwartet uns in dem Roman.

Illies gibt uns einen Einblick in die Welt der Künstler und Literaten. Die Politik spielt keine große Rolle, so scheint es. Man macht sich Sorgen am Rande, ja, aber das eigene Überleben steht an erster Stelle. Thomas Mann übernimmt sich mit seinem Hausbau, für Else Lasker-Schüler wird Geld gesammelt, Trakl läuft mit Depressionen am Strand entlang, die Neurasthenie scheint überall. Außerdem verkündet der Präsident der Stanford University: „Der große Krieg in Europa, der ewig droht, wird nie kommen.“ Also schreibt Kafka Liebesbriefe der anderen Art, Kokoschka malt besessen an einem Bild. Das sind Namen, die wir kennen. Oft wartet der Autor mit Anekdoten auf, die mich schmunzeln lassen. Was ist wahr an diesen kleinen Geschichten, wo galoppiert er mit uns davon, um ein Bild zu malen, aus dem Text zu schauen? Ich kann es nicht sagen, die angeführte Literaturliste ist lang. Manchmal wertet er bissig und treffend, „… und zeichnet die Krone der Schöpfung, das Schwein, den Menschen.“

Er zeichnet das Bild eines Jahres. Vieles bricht. Neue Strömungen drängen sich auf. Die Kritik ist machtlos, sie kann nichts verhindern. Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Rückblickend sind es Revolutionen an jeder Front. Diese Aufbruchstimmung fehlt mir in der heutigen Zeit. Betrachte ich es genauer, muss ich sehen, dass es sie überall gibt. Sie liegen verstreut und es ist oft Zufall, was mich erreicht. Ich lebe in der Zeit der Informationsflut. Alles scheint wichtig. Vielleicht fühlt sich das genauso an wie damals. Die Zeit vor hundert Jahren kommt mir bahnbrechender vor. Auch wenn man Verabredungen aufgrund brieflicher, und dementsprechend langwieriger, Kommunikation verpassen konnte.

Gegliedert ist der Roman ganz einfach, nach Monaten. Zu Beginn gibt er einen Ausblick auf die kommenden Tage, sehr treffend, heiter zusammengefasst. Es lässt sich leicht lesen, was Rilke und die Manns taten, wo arbeitete Gottfried Benn und was war mit Else Lasker-Schüler, wie bestritten sie ihr Leben, was hatten sie miteinander zu tun, oder kannten sie sich gar nicht? Langweilig ist es nie.

Und wieder schreibt ein Historiker einen Roman. Er hat mir damit einen Einblick in die Zeit verschafft. Und er hat es besser gemacht als manch anderer. Fakten hat er geschickt verbunden und eine herrliche Atmosphäre geschaffen von dem, was einmal war. Es ist schade, dass dieses Jahr so schnell verging.

Hier geht es zum Buch: http://www.fischerverlage.de/buch/1913/9783100368010