Anmeldung zur weiterführenden Schule

Heute ist es soweit. Das Kind freut sich. Es wird am Gymnasium angemeldet, ein neuer Lebensabschnitt wird beginnen. Beschwingt betreten wir das Schulgebäude, werden zum Gespräch gebeten. Die Dame stellt sich als Lehrerin der Mittelstufe vor. Mittelstufe? Mein Kind wird nicht zwei Klassen überspringen, nun gut, vernachlässigen wir das mal. Das ist also meine Gesprächspartnerin, die vorerst mit dem Kind nichts zu tun haben wird. Sie blinzelt durch ihre Brille.
„Na, warum möchtest du zu uns kommen?“
Ich wundere mich, fehlt nur das Eititei, ihr Unterton klingt, als spräche sie mit einem 3-Jährigen. Mein Kind überlegt kurz und faßt zusammen, die Freunde kommen hierher, es gibt kein Mobbing. Sie grinst meinen Sohn an.
„Dann zeig mir mal dein Zeugnis.“
Das hole ich aus einer Mappe heraus und reiche es ihr zusammen mit der Empfehlung des Lehrers sowie dem Beurteilungsbogen. Nach kurzem Studium verliert sie ihr Grinsen.
„Das ist ja nicht so gut.“
Sie geht alle Positionen durch.
„Du kannst dich schlecht konzentrieren, arbeitest nicht gerne, erledigst Aufgaben nur teilweise und hast eine vier in Mathe. Meinst du wirklich, daß diese Schule die richtige für dich ist?“
Was sie aus den Bögen herausgelesen hat schockiert mich. So schlimm ist es nicht. Es klingt, als wäre mein Kind der mieseste Schüler weit und breit. Der Grundschullehrer beurteilt seine Leistungen anders.
„Dein Zeugnis ist eins von den schlechten.“
Ich kenne meinen Sohn. Stocksteif sitzt er da, fummelt noch nicht mal an seiner Jacke herum, das sind Alarmzeichen. Blaß sieht er aus und schluckt schwer. In den Augen sehe ich ein Glitzern. Eigentlich würde er gerne auf der Stelle heulen. Das kann ich verstehen, ich werde augenblicklich wütend.
„Außerdem hat er nur eine Empfehlung für die Real- oder Gesamtschule.“
Sie zeigt auf den Satz in dem Beurteilungsbogen. Auf der roten Empfehlung ist auch das Gymnasium angekreuzt, zwar eingeschränkt wegen der Note in Mathematik, aber die Empfehlung ist da. Sie wendet sich an mich.
„Wollen sie ihr Kind nicht lieber an der Realschule anmelden? Meine Tochter war auch dort und ist jeden Tag mit dem Bus dorthin gefahren.“
Wie lange ist das her? 20 Jahre? In Gedanken werde ich gemein. Zu der Zeit gab es bestimmt noch nicht so viel Gedrücke und Geschiebe in überfüllten Bussen. Mehrere Gespräche hat es im Vorfeld mit dem Klassenlehrer gegeben, eins mit dem Psychologen, und die besagten ganz deutlich, melden sie ihr Kind am Gymnasium an, es braucht Input. Sehr viel Input, Förderung und Möglichkeiten. Schulnoten geben nicht unbedingt die Intelligenz eines Kindes wieder, das hat die Dame vor mir nicht begriffen. Von ihr hätte ich weiterführende Kenntnisse in Pädagogik sowie Psychologie erwartet und werde herbe enttäuscht. Schon im Kindergarten machte man mich darauf aufmerksam, mit Ihrem Kind stimmt etwas nicht, es kann schon lesen und schreiben und rechnen. So so, da stimmt was nicht. Ein Schulpsychologe betreute das Kind, ich kümmerte mich um den enormen Wissensdurst. Er testete das Kind und war begeistert.
„Ihr Kind ist ein Matheass.“
So so, Matheass. Er versteht die Aufgaben, arbeitet sie durch und ab, nur die Arbeiten schreibt er leider vier. Das interessiert die Dame nicht. Sie hackt nur auf meinem Kind herum, sieht Problem über Problem.
„Überlegen sie sich das wirklich noch mal.“
Die Förderung der Kinder bleibt Sache der Eltern. Ein offenes Ohr finde ich nicht. Fällt man aus dem Raster, wird man gleich abgeschoben, da hilft es auch nicht, ein begabtes Kind zu sein. Früher hat man mir geraten, das Kind im 4. Schuljahr erneut testen zu lassen, wegen des Schulwechsels. Das habe ich nicht getan und das werde ich nicht tun. Der Test würde in der Schublade vergammeln, sie will ihn ja auch nicht sehen. Förderung ist und bleibt ein Stiefkind. Flexible Schulen, an denen das Lernen Spaß macht, bleiben eine Wunschvorstellung. Von Ganztagsschulen ganz zu schweigen, auf die wir alleinerziehende angewiesen sind. So so, Realschule. Ich werde also weiterhin nach der Schule mit meinem Kind Anatomiebücher und Erdkundebücher wälzen und mir von meinem Neunjährigen erklären lassen, wie das damals war mit Preußen und der Weimarer Republik, einzelne Hirnregionen benennen müssen, die er mir an einem Plastikmodell zeigt. Wegen der vier in Mathe. Im März werden die Briefe verschickt.
Im Bildungsirrsinn fühle ich mich furchtbar allein.